Erinnerung an Berti Mader


Berti Mader

Bildquelle:
http://www.goest.de/berti.htm


Ich habe mich gefreut, dass Ihr in Eurer Ausgabe der Göttinger Drucksache Nr. 473 vom 6.2.2004 einen Nachruf auf Berti gebracht habt. Der Nachruf war würdig und schön.

Viele werden sich an Berti erinnern können und traurig darüber sein, ihn nicht mehr unter uns zu wissen. Auch ich würde gerne ein paar Dinge zur Erinnerung an Berti sagen, denn er hat es verdient, dass an ihn erinnert wird.

Ich lernte Berti an der Jahreswende 1989/90 kennen. Am 17.11. war Conny überfahren worden, am 18. gab es eine erste spontane, am 25.11. dann eine sehr große Demonstration. Am 9.11. war die Mauer geöffnet worden. Der Osten brach zusammen, der Westen gefiel sich in Selbstbestätigung. Auch in der studentischen Politik vollzog sich ein Wandel. Die marxistischen und stramm DDR-treuen Gruppen wie der MSB (Marxistische Studentenbund) und andere verschwanden spurlos. Jahrelang hatten sie sich in jede Debatte über linke Themen eingemischt und sie mehr verhindert als gefördert. Die politisch interessierten Studenten fühlten sich befreit - und hofften auf eine ähnliche Befreiung, auf Glasnost und Perestroika nun auch außerhalb der Unis im Westen. Um das erst einmal an den Unis zu erreichen, gründeten vier Studis eine Grüne Hochschulgruppe (zu denen auch ich gehörte). Nach dem Fortfall der DDR-finanzierten Gruppen errangen wir in den AStA-Wahlen einen großen Wahlerfolg. Bei den Verhandlungen zur Bildung eines linken AStAs seit Anfang Februar 1990 lernte ich Berti kennen.

Berti gehörte, wenn ich mich recht erinnere, der LiFaBa (LinkeFachschaftsBasisliste o.ä.) an. Mittelgroß, von kräftiger Statur, fiel er einem rasch auf, wenn er das Wort ergriff. Er hatte ein tiefe, sonore Stimme und blieb immer ruhig. Was er sagte, nahm einen sofort für ihn ein. Es war überlegt und durchdacht, hatte Hand und Fuß, war vernünftig. Nie wurde er ausfallend, gehässig, hysterisch. Mit ihm konnte man reden und sich einigen auch über politische Lager hinweg. Für kurze Zeit zeichnete sich ein AStA ab, der im Kern aus Berti als Außen-, mir als Finanzreferentem und Markus Hoppe (Juso) als Vorsitzendem bestehen sollte. Doch die Mehrheit unter den Gruppen nahmen ihre Differenzen viel zu wichtig, um einen Kompromiss zu finden. Bald stellte sich ja auch heraus, dass die Partizipationsmöglichkeiten, die sich im Osten zu eröffnen schienen - ich erinnere nur an die Runden Tische im Frühjahr in der DDR -, der Westen als Vorbild für sich selbst weit von sich wies, und auch im Osten rasch zu Feigenblätter verkamen.

Die Besetzung des "Schierwater-" oder Ludwig-Quidde-Hauses (der erste deutsche Friedensnobelpreisträger hatte in Göttingen studiert und hier 1880 den studentischen Antisemitismus bekämpft) am Theaterplatz gegenüber dem Gymnasium wurde mit Polizeikräften beendet, an der Uni kam es zu einem Staatssekretär, dann einem Not-AStA, reichsweit zu einer nationalen Orgie (Einführung der DM in der DDR, "Wiedervereinigung", rauschenden Kohlwahl) und dem ersten Golfkrieg ums Öl. Verschwunden waren die DDR und ihre Trabanten an den westlichen Unis, sonst hatte sich im Westen nur alles verschlimmert.

Berti traf ich immer wieder, wenn auch nie privat, nur zufällig. Wir plauderten über Politik, waren selten auf Anhieb einer Meinung, aber näherten uns dann doch immer. So trübe die Zeiten waren, so war es doch ein Vergnügen, mit ihm zu sprechen. Da die, die sich an die Zeit von 1989/90 in Göttingen erinnern können, immer weniger werden und ich darüber noch schreiben will, wurde Berti auch deswegen für mich immer wichtiger. Noch wenige Tage vor seinem Tod traf ich ihn in der Jüdenstraße. Er arbeitet als Möbelpacker. Dass ein Mann wie Berti darauf angewiesen war, als Möbelpacker sein täglich Brot zu verdienen, empfand ich als schmerzlich. Warum war er nicht in der Politik? Sah denn keiner, dass einer wie Berti mit seiner Urteilskraft und seiner Fähigkeit, zu überzeugen und auch Streithähne zur Einsicht zu kriegen, dorthin gehörte? Heute wird wieder von Elite geredet, die so dringend gesucht werde. Auch wenn Berti den Begriff der Elite wohl abgelehnt hätte, er auf jeden Fall gehörte zu genau dieser Elite.

Klaus P. Sommer

18.2.2004 (eine etwas knappere erste Fassung vom 11.2. wurde anonym - so ist es Brauch in diesem Blatt - gedruckt in Göttinger Drucksache Nr. 474, 20.2.2004, S. 3)

 

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